
Papiergold, Papier-Bitcoin: gibt es ein Problem?
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- Bitcoin
Als Satoshi Nakamoto im Jahr 2009 Bitcoin einführte, brachte diese Innovation eine radikale Form von Transparenz in das globale Finanzsystem. Jede Transaktion, jeder Coin, jeder Block ist öffentlich überprüfbar und in Echtzeit einsehbar. Keine andere Anlageklasse hat jemals ein derart offenes Ledger geboten. Dies bedeutete einen deutlichen Bruch mit traditionellen Systemen wie Gold, bei dem die tatsächliche Umlaufmenge auf Schätzungen und Zwischenhändlern beruht. Doch heute tauchen erneut Fragen auf: Erleben wir gerade den Aufstieg des „Papier-Bitcoins“ – einer synthetischen Version des Vermögenswerts, die genau jene Transparenz bedroht, auf der Bitcoin basiert?
Papiergold: die Analogie
Um diese Sorge zu verstehen, müssen wir einen Blick auf die Geschichte des „Papiergoldes“ werfen. Der Begriff entstand im Zuge der Sonderziehungsrechten in den 1960er Jahren, bezeichnet aber heute Finanzprodukte, die ein Engagement in Gold ohne physischen Besitz ermöglichen. Dazu gehören ETFs, Terminkontrakte und Aktien von Goldminenunternehmen. Auch wenn diese Instrumente praktisch und liquide waren, brachten sie Kontrahentenrisiken mit sich und verschleierten, wie viel physisches Gold tatsächlich hinterlegt war.
Mit der Zeit verlagerte sich der Großteil des Goldhandels in undurchsichtige außerbörsliche Märkte (Over-the-Counter-Märkte), insbesondere in London. Laut dem World Gold Council erfolgen über 70 % der Großhandelsgeschäfte mit Gold außerhalb regulierter Exchanges, dort, wo die Öffentlichkeit nur begrenzten Einblick hat. Und anders als bei Bitcoins 21-Millionen-Obergrenze bleibt das gesamte Goldangebot – einschließlich des noch nicht geförderten – spekulativ.
Papier-Bitcoin: die zunehmende Besorgnis
Bitcoin, das oft als „digitales Gold“ bezeichnet wird, übernimmt zunehmend ähnliche Finanzstrukturen: Futures, Optionen, ETFs und auf Verwahrung basierte Engagement-Mechanismen. Diese Instrumente ermöglichen zwar einen breiteren Zugang, versetzen Anleger jedoch auch in größere Entfernung zum Basiswert – insbesondere dann, wenn Emittenten nicht vollständig Transparenz walten lassen.
Der Begriff „Papier-Bitcoin“ gewann an Bedeutung, als im September 2024 Vorwürfe aufkamen. Coinbase, dem Verwahrer mehrerer Bitcoin-ETFs, einschließlich BlackRocks iShares Bitcoin Trust, wurde vorgeworfen, Schuldscheine ausgegeben zu haben, anstatt echte Bitcoins zu halten. Obwohl Brian Armstrong, CEO von Coinbase, diese Behauptungen dementierte und Adam Back sie öffentlich widerlegte, löste das Ereignis branchenweite Besorgnis aus.
Die Idee eines mutmaßlichen „Papier-Bitcoins“ hat in den sozialen Netzwerken an Fahrt gewonnen. Sie basiert oft auf der Wahrnehmung, es sei nicht normal, dass der Bitcoin-Preis trotz immer mehr werdender Bitcoin-Treasury-Unternehmen und der rasanten Ausweitung von Bitcoin-ETFs range-gebunden bleibt. Laut dieser Perspektive sollte größeres institutionelles Engagement direkt zu einem stärkeren Aufwärtstrend beim Preis führen.
Diese Annahme ist jedoch fehlerhaft, denn die Angebotsdynamik von Bitcoin unterliegt komplexen Mechanismen: Die Kursentwicklung wird nicht ausschließlich durch ETF-Zuflüsse oder Bilanzallokationen bestimmt. Sie hängt auch von Faktoren wie Marktliquidität, Derivate-Positionierung, makroökonomischer Stimmung, Verhalten der Miner und der Aktivität langfristiger Inhaber ab. Zudem führen nicht alle ETF-Zuflüsse zu sofortigen Spot-Käufen: Einige Emittenten sichern ihr Engagement mit Terminkontrakten ab oder verlassen sich auf interne Market-Making-Strukturen, was die erwartete Auswirkung auf den Preis abschwächen kann.
Um Bitcoins Marktstruktur zu verstehen, müssen wir uns mehr als die bloßen Zuflüsse anschauen und auch die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen Spot-, Derivate- und Verwahrmärkten in Betracht ziehen.
Nichtsdestotrotz: Wenn sich „Papier-Bitcoin“ ohne solide Verifizierung verbreitet, riskieren wir eine Rückkehr zu einer Welt, in der Marktteilnehmer nicht mit Gewissheit überprüfen können, ob Vermögenswerte 1:1 hinterlegt sind, was dem Gründungsethos von Bitcoin widersprechen würde.
Proof of Reserves: Werkzeug oder Illusion?
Nach dem Zusammenbruch von FTX im Jahr 2022 förderte die Branche den Nachweis von Reserven (Proof of Reserves, PoR) als Schutzmaßnahme. Im besten Fall bestätigt PoR, dass ein Unternehmen über die Vermögenswerte verfügt, die es vorgibt zu besitzen, was idealerweise mit den Verbindlichkeiten abgeglichen wird. Allerdings kann der Nachweis von Reserven auch der Tarnung der tatsächlichen Umstände dienen:
Reserven können vor Audits nämlich temporär aufgebläht werden und es gibt keine Branchenstandards für die ordnungsgemäße Veröffentlichung der Nachweise. Schauen wir uns als Beispiel Krypto-Börsen an: Wenn ein Nutzer die Einlagen einer Börse nicht in Echtzeit auf deren Einzahlungsadresse verifizieren kann, könnten in Wirklichkeit Teilreserven verwendet werden. Auch verzögerte Auszahlungen stellen ein Warnsignal dar.
An börsennotierten Bitcoin-Treasury-Unternehmen könnte man – abgesehen von Metaplanet – bemängeln, dass keines von ihnen derzeit eine Möglichkeit bietet, ihre Bestände unabhängig zu verifizieren.
Wichtig ist der Hinweis, dass ETP-Emittenten wie CoinShares in Europa nicht nur den alten Finanzvorschriften (wie der MiFID-Richtlinie und der Prospektverordnung) unterliegen, sondern auch den Meldepflichten, die von den Börsennotierungsplätzen vorgeschrieben werden. CoinShares hat außerdem eine Partnerschaft mit dem unabhängigen Unternehmen The Network Firm geschlossen, das mit Blockchain-Technologie Krypto-Bestände in Echtzeit verifiziert und tägliche Bescheinigungsberichte veröffentlicht.
Der Gegenbeweis von Adam Back
Als die Gerüchteküche im September 2024 zu brodeln begann, reagierte Bitcoin-Pionier Adam Back auf die herrschende Darstellung schnell mit der Feststellung, es gebe keinen Beweis dafür, dass Coinbase ungedeckte Schuldscheine ausgegeben habe. Sein Kommentar erinnerte daran: Skepsis muss datenbasiert sein, und nicht von sozialen Medien befeuert. Doch der Schrecken machte eines deutlich: Wahrnehmung ist beim Marktvertrauen ebenso wichtig wie Fakten.
Dennoch sollten alle im Internet und in den sozialen Netzwerken kursierenden Gerüchte mit Vorsicht betrachtet werden. Im Jahr 2024 betonte der Bloomberg-ETF-Analyst Eric Balchunas, dass es in seiner Branchenerfahrung von „20 Jahren nie einen Fall gegeben habe, in dem diese Dinge [die Basiswerte] nicht beim Verwahrer lagen.“
Außerdem darf man nicht vergessen, dass die Offenlegung von Beständen komplexer ist, als einfach nur eine öffentliche Adresse anzuzeigen – vor allem, weil dies die Adresse für Spam-Angriffe wie Dusting anfällig macht, einer Taktik, bei der böswillige Akteure ohne Zustimmung Vermögenswerte an die Adresse senden. Diese Vermögenswerte können beispielsweise kontaminiert sein.
Fazit: den Ledger verteidigen
Dennoch bietet Bitcoin etwas, das kein anderer Vermögenswert bieten kann: vollkommene Transparenz. Aber dieses Versprechen steht auf dem Spiel, wenn wir Finanztechnik in die Lage versetzen, der Verifizierung zuvorzukommen. Anleger sollten mehr als Bequemlichkeit verlangen: Sie sollten kryptografische Gewissheit verlangen.
Die Gefahr vom „Papier-Bitcoin“ ist real, aber vermeidbar. Indem wir Institutionen zur Rechenschaft ziehen, bewährte Verfahren fördern und die Instrumente der Blockchain nutzen, können wir sicherstellen, dass Bitcoin so bleibt, wie er immer sein sollte: nicht auf Vertrauen angewiesen, überprüfbar und radikal transparent.

