Stablecoins: eine wachsende Macht in der globalen Finanzwelt
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- Finanzen
Während die US-amerikanischen Staatsschulden weiter in historische Höhen steigen, taucht ein unerwarteter Akteur mit der Absicht auf, US-Staatsanleihen zu kaufen: Stablecoin-Emittenten. Diese Privatunternehmen, die dollargebundene digitale Vermögenswerte in Krypto-Netzwerke einbringen [1], halten gemeinsam nahezu 0,5 % der 35 Billionen USD US-Staatsschulden – ein moderater, jedoch wachsender Betrag. Stablecoin-Emittenten befinden sich jetzt auf Platz 16 der größten Gruppen von US-Gläubigern und haben Länder wie Saudi-Arabien überholt, wodurch sie jetzt nur noch knapp hinter Frankreich liegen.
In den letzten fünf Jahren entwickelten sich die Stablecoins von einem Krypto-Nischenprodukt zu einem unverzichtbaren Finanzinstrument – sowohl in Schwellenländern als auch auf entwickelten Märkten. Die zunehmende Bedeutung der Stablecoins für den US-Schuldenmarkt sowie ihre Verbreitung in Regionen mit eingeschränktem Zugriff auf Dollar-Banking bringt sie in eine Position, in der sie tatsächlich die Zukunft des globalen Finanzsystems mitgestalten können – sowohl bezüglich der Festigung der Dollar-Vormachtstellung als auch der Verlagerung wirtschaftlicher Kontrollen außerhalb des traditionellen Banksystems. Sehen wir uns dies genauer an.
Die Nachfrage seitens der Stablecoin-Emittenten nach US- Schuldtiteln steigt
Die erst seit relativ kurzer Zeit auf dem US-Schuldenmarkt vertretene Nachfrage von Stablecoin-Emittenten nach Staatsanleihen ist ganz natürlich und ändert sich mit der Marktgröße für Stablecoins. Ihre grundlegende Struktur basiert auf der Erhaltung von Reserven, die gleichzeitig liquide und stabil sind, um allen möglichen Rücknahmeanfragen nachzukommen, indem sie US-Dollar im Austausch für ihren digitalen Vermögenswert senden.
Dies bedeutet, dass Emittenten dollaräquivalente Vermögenswerte gegenüber den im Umlauf befindlichen Stablecoins halten müssen, wobei US-Staatsanleihen eine beliebte Wahl sind – nicht nur aufgrund ihrer Liquidität, sondern auch wegen ihrer Fähigkeit, angesichts des minimalen Risikos eines Zahlungsausfalls der US-Regierung Zinsen zu erzielen.
Da Emittenten natürliche Käufer von Staatsanleihen sind, ist ihr Besitz an US-amerikanischen Schuldtiteln mit dem Stablecoin-Markt gewachsen – er hat sich in weniger als fünf Jahren verzehnfacht und liegt heute bei etwa 100 Mrd. USD.
Die Bedeutung der Stablecoins auf dem US-Schuldenmarkt ist besonders bemerkenswert, wenn sie vor dem Hintergrund eines relativen Rückgangs der ausländischen US-Schulden betrachtet wird. Ausländische Beteiligungen sind im Laufe des letzten Jahrzehnts von 34 % auf 23 % gesunken, wobei starke historische Akteure wie China und Japan ebenfalls ihre Positionen bei den Staatsanleihen in absoluter Weise reduziert haben. Die Einführung von Stablecoins trägt in diesem Zusammenhang somit dazu bei, eine Lücke zu füllen, die von ausländischen Regierungen auf ihrem Rückzug hinterlassen wird. Aus Sicht der USA stellen Stablecoin-gesicherte Staatsanleihen nicht nur einen Ausgleich dar, sondern markieren zudem einen großen Wechsel bei den Arten von Institutionen bzw. Entitäten, die US-Schulden halten.
Zwar stehen Japan und China immer noch an der Spitze der Liste der US-Gläubiger, doch die Aussicht auf Stablecoins als langfristige Bedarfsquelle wirft interessante Fragen auf. Wenn man das derzeitige Wachstum auf die nächsten 5–10 Jahre hochrechnet, würden Stablecoins in der aktuellen Rangliste der ausländischen Gläubiger bis auf Platz 5 vorrücken und sich damit unter den weltweit größten Zentralbanken positionieren.
Es ist genau dieses Phänomen, das zu einer Umgestaltung der finanziellen Mächte führen könnte, bei der die Emittenten von Stablecoins – private Unternehmen statt nationaler Regierungen – zu bedeutenden Akteuren der US-Finanzstabilität werden.
Diese privaten Unternehmen mit ihren mehr als 100 Mrd. USD in US-Staatsanleihen sind möglicherweise bereits so stark gewachsen, dass jegliche Regulierungsmaßnahmen, die sie zur Auflösung ihrer Bestände zwingen, den Markt für Staatsanleihen destabilisieren würden. Im Oktober 2024 diskutierte das Treasury Borrowing Advisory Committee öffentlich zu diesem Thema. Diese Diskussion warf eine interessante Frage auf, die jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen würde: Könnten die Folgen eines Tether-Zusammenbruchs so schwerwiegend sein, dass es bereits „too big to fail“ (dt. zu groß zum Scheitern) ist? (Lesen Sie hier mehr dazu)
Stablecoins: ein Ersatz für Dollar-Banking in Schwellenländern
In zahlreichen Schwellen- und Entwicklungsländern sind die Bankmöglichkeiten für Konten in US-Dollar nur sehr schwer zugänglich. Stablecoins schließen diese Lücke, indem sie den Menschen eine Alternative zum herkömmlichen Dollar-Banking bieten, die hauptsächlich über das Internet zugänglich, aber auch zuverlässig und relativ günstig ist.
Stablecoins werden selbstverständlich in großem Umfang für den spekulativen Handel mit Krypto- Assets verwendet – jedoch nicht ausschließlich. Im Rahmen einer Umfrage, die Castle Island Ventures Anfang 2024 in Schwellenländern durchführte, nannten 47 % der Teilnehmenden „Geld in Dollar sparen“ als ihr Stablecoin-Ziel. Das Ergebnis der Studie war, dass es vor allem in Indien, Brasilien, Nigeria, der Türkei und Indonesien viele beliebte Anwendungsfälle für Stablecoins gibt: effiziente Währungskonvertierung, Zahlungen und Sparen.
In diesen Regionen, die zusammengenommen eine viel größere Bevölkerung als westliche Industrienationen haben, und tendenziell über ein mittleres Einkommen verfügen, sind US-Dollar-Stablecoins eine attraktive und wettbewerbsfähige Alternative zur staatlichen Währung.
Anstelle von aufwendigen Offshore-Dollar-Konten mit strengen Vorschriften und hohen Gebühren können die Nutzer ganz einfach ein Online-Wallet herunterladen und all die Hürden der traditionellen Finanzsysteme umgehen. Der Stablecoin hat, mit Erfolg, die Stabilität des Dollars weitaus mehr Menschen zugänglich gemacht, als dies im traditionellen Bankwesen möglich gewesen wäre – ein weltwirtschaftlicher Vorteil, der unserer Meinung nach nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte.
Die Schlussfolgerung daraus ist, dass Stablecoins die Dollar-Expansion im Ausland fördern – als eine Art „Schatten-Dollar“ in grauen Märkten. Wie bereits andere vor uns festgestellt haben, unterscheidet sich dieses Phänomen nicht besonders vom Euro-Dollar-Markt, der sich nach dem Marshallplan in ganz Westeuropa bildete. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um eine US-amerikanische Initiative zur Finanzierung eines Wiederaufbaus in Westeuropa wie nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs – Stablecoins sind eine Entwicklung direkt an der Basis, von gewinnorientierten Privatunternehmen, die mit der Arbitrage von Vorschriften spielen. Dabei riskieren sie ein gezieltes Einschreiten der US-Regulierungsbehörden. Die Gewinnchancen sind jedoch außergewöhnlich hoch (siehe Tether Q3 2024 Nettogewinn übertrifft Blackrock und Visa und sogar die Fed-Vertreter bemerken nach und nach, dass die Stablecoins mit den US-Interessen übereinstimmen.
Monetärer Wettbewerb wird den anhaltenden Stablecoin-Erfolg in Schwellenländern weiter vorantreiben
Die Stablecoin-Nachfrage scheint nicht nachzulassen. Laut der Umfrage von Castle Island Ventures gaben 57 % der Nutzer an, im vergangenen Jahr vermehrt Stablecoins verwendet zu haben, und 72 % erwarten sogar einen weiteren Anstieg ihrer Nutzung.
Während sich der Währungswettbewerb ganz natürlich entwickelt, werden die Regierungen weltweit entscheiden müssen, ob sie weitere Ressourcen zur Einschränkung der Verwendung von Stablecoins aufwenden wollen, oder ob sie der Dollarisierung einfach ihren Lauf lassen. Unserer Ansicht nach sind diese Taktiken – angesichts des Ausmaßes an Überwachung und Durchsetzung, das zur Einschränkung der Nutzung erforderlich wäre – viel zu kostspielig, um sie dauerhaft durchzuführen. Andererseits könnte sich das Wachstum von Stablecoins jedoch beschleunigen, wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen auf positive Weise angepasst würden, was die Coins zudem näher an den Mainstream bringen würde.
Eine weitere, dritte Möglichkeit besteht darin, dass die Zentralbanken einer Strategie nachgehen, die den jeweiligen Landeswährungen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem US-Dollar verschaffen würde. Dies ist zwar gut möglich und in mindestens einem Land vielleicht sogar wahrscheinlich, doch halten wir es für äußerst unwahrscheinlich, dass es sich dabei um das gängigste Szenario handelt ... man beachte die vielen Beispiele für eine Hyperinflation nach dem Goldstandard.
Stablecoins werden die globale Finanzkraft verändern und monetären Zugang erweitern
Schon jetzt gestalten Stablecoins die globale Finanzwelt um und spielen eine Rolle, die noch vor einem Jahrzehnt undenkbar gewesen wäre. Sie füllen weit mehr als nur die Lücken auf dem US-Schuldenmarkt, die durch den Rückzug ausländischer Investoren entstanden sind – denn sie verschaffen Millionen von Menschen in Schwellenländern Zugang zur Stabilität des Dollars. Je stärker der Einfluss von Stablecoins wächst, desto größer ist auch die Hoffnung auf eine Welt, in der finanzielle Macht immer mehr verteilt ist – von ganzen Regierungen bis hin zu privaten Emittenten in digitalen Netzwerken.
Dieser Wandel stellt sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance dar. Regierungen könnten versuchen, die Einführung von Stablecoins zu bremsen, oder mit ihnen zu konkurrieren, indem sie ihre eigenen Währungen stärken. Die Nachfrage nach Dollar-gesicherten Vermögenswerten ist jedoch inzwischen unverkennbar – und selbst wenn Stablecoins die Zentralbanken nun dazu bringen würden, ihre Geldpolitik zu verbessern, auch wenn damit die Akzeptanz von Stablecoins sinken würde, wäre dies immer noch ein überwältigender Sieg für die Allgemeinheit.
Für die USA würde die zunehmende Stablecoin-Verbreitung zudem eine erhebliche Finanzierung bedeuten, falls die Stablecoin-Emittenten weiterhin die Nachfrage nach Staatsanleihen decken. Zugleich erhalten Menschen in instabilen Wirtschaftsräumen eine praktische Alternative, die das traditionelle Bankwesen ihnen (noch) nicht bieten kann.
Abschließend ist hervorzuheben, dass Stablecoin-Nutzer viele der technischen sowie konzeptionellen Hürden überwinden, mit denen Bitcoin-Anfänger eher zu kämpfen haben. Somit wird durch die Verbreitung von Stablecoins auch der Weg zur Verbreitung von Bitcoin erheblich geebnet, was sich wiederum für Bitcoin-Anleger durchaus positiv auswirken könnte.
Im Hinblick auf die Zukunft ist das Wachstum der Stablecoins ein vielversprechender Umbruch, bei dem Landesgrenzen in Finanzangelegenheiten weniger bedeuten, die Technologie triumphiert und der Zugang zu zuverlässigem Geld nur ein paar Klicks entfernt ist. Sollte die Zahl der Stablecoin-Emittenten weiterhin steigen, könnten bereits in naher Zukunft private, digitale Dollar fast genauso wichtig für die Wirtschaft sein wie die Reservedollar der Zentralbanken. Dies wäre eine Veränderung, die Währung und Wirtschaftsmacht neu definieren würde. Und das wahrscheinlich zum Besseren.
[1] Stablecoins sind derzeit zwar zu 99 % an den US-Dollar gebunden, können aber bei richtiger Einrichtung auch für jeden anderen Vermögenswert stehen.